Dienstag, 8. Januar 2013

Dodekahemeron

Haben die "Zwölfnächte" oder "zwölf Tage nach Weihnachten" (Twelve Days of Christmas) zu tun mit dem "Jul" in frühgermanischer Zeit, einem alten kalendarischen Hauptfest um Mittwinter, das mehrere Nächte dauerte, die ursprünglichen "Weihnachten" oder "Weihnächte" nämlich? Oder woher stammen unsere "Zwölfnächte" oder "Rauhnächte" denn sonst? Die Experten winken ab. Es handle sich um nichts anderes als eine Übernahme des Dodekahemeron (δωδεκαήμερον) aus dem christlichen Festkalender:
 nichts als das germanische Abbild des christlichen Dodeka-hemeron (Tille 1893:282, 1899:79)
Zweifellos haben aber unsere Zwölfnächte mit dem Dodekahemeron zu tun. Das eine erklärt das andere nicht, aber zusammenhängen tun sie. Man würde also annehmen, dass diese "Zwölfnächte" oder "Zwölftage" irgendwann während des frühen Mittelalters im Zusammenhang mit dem christlichen Fastenkalender zu uns gekommen wären. Im folgenden komme ich aber zum Schluss, dass die Zwölfzahl dieser "Weihnächte" sich wohl im Merowingerreich ("in Gallien") während des 5. Jh. entwickelt hat. Es geht also weniger um ein "germanisches Abbild" eines bereits bestehenden, älteren, christlichen Brauchs sondern vielmehr um eine Tradition, die sich just während der Christianisierung der südlichen Germanen erst herausbildet.

Die Zwölfnächte werden  zudem oft dargestellt als eine "weit verbreitete" Praxis bei lunisolaren Kalendern überhaupt, die Differenz zwischen "Mondjahr" und Sonnenjahr als besondere Zeit zu begehen. Hier ist ein wenig klares Denken gefordert. Es ist wahr, dass die Differenz zwischen zwölf Mondmonaten und einem Sonnenjahr etwa zwölf Tage beträgt. Diese Tatsache wird gerne etwas nonchalant zitiert um eine entsprechende Zeitspanne "zwischen den Jahren", also "um Mond- und Sonnenkalender in Einklang zu bringen" zu postulieren. Das ist aber Unsinn: diese zwölf Tage summieren sich über eine Zeit von zwei bis drei Jahren zu einem vollen Mondmonat, und dann folgt ein Schaltmonat. Zu keiner Zeit kann man Mond- und Sonnenkalender durch Einschaltung von zwölf Tagen in Einklang bringen: man muss warten, bis sich diese Differenz zu einem vollen Monat aufsummiert hat, andernfalls bringt man überhaupt nichts in Einklang. Das kann also nicht der Ursprung sein, und es wäre schön, wenn die Leute auf Wikipedia (und anderswo; Stetner 2008) aufhören täten, so etwas diffus zu implizieren ohne je genau festzuhalten, wie das denn genau gehen sollte.

Motiviert wird das Dodekahemeron durch das Auseinanderliegen der zwei traditionellen Daten für die Feier der Geburt Christi, am 25. 12. ("Weihnachten") und am 6. 1. ("Epiphanias"). Diese Differenz hat nb. nichts mit irgendwelchen Kalenderreformen zu tun (wie man das manchmal lesen kann), sondern diese zwei Daten entsprechen ganz einfach zwei Traditionen, die sich im 4. Jh. unabhängig voneinander entwickelt hatten. Das Weihnachtsdatum geht zurück auf die Geburtsfeier des Sol Invictus in Rom. Diese Feier ist selber auch erst spätantiken Datums (eingeführt um 270), das Datum "25.12." geht aber letztlich auf das Datum der Sonnwende zurück (das "traditionelle Datum" für die Sonnwende im römischen Kalender, Bruma, VIII Kal. Ian. Die Differenz zum gregorianischen Datum, 21.12., ist eine Folge der "unkorrigierten" julianischen Schaltjahre in den Jahren 100, 200 und 300; lesen: 1 2 3). Der 6. 1. war dagegen das Datum der Geburt des Aion aus der Jungfrau Kore im synkretistischen persisch-ägyptisch-hellenistischen Kult, der im Osten des Reiches, namentlich in Alexandria, populär war. Auch diese Feier ist spätantik, belegt erst für das 4. Jh. (Epiphanius von Salamis, Haereses 51.22.10), so dass es überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass das christliche Fest vom heidnischen stammt, geradesogut könnte es umgekehrt sein.

Die Geburtsfeste beider Figuren, Sol Invictus und Aion, wurden jedenfalls im 4. Jh. auf die Geburt des Christus bezogen. Das Hervorheben des Zwischenraums zwischen diesen Daten als eine besondere Zeit dagegen war nicht zwingend und muss sich irgendwie und irgendwann im 5. oder 6. Jh. entwickelt haben, möglicherweise beeinflusst von bereits bestehenden Winterbräuchen.

Die allerfrüheste Anerkennung dieses Zeitraums als irgendwie besonders, die ich finden kann, stammt nun nicht aus dem byzantinischen Raum sondern aus dem fränkischen Reich: Die Synode von Tours von 567 (Lippert 1882) habe das Dodekahemeron zuerst "anerkannt".  Die  entsprechende Stelle in den Acta Conciliorum Et Epistolae Decretales:
 (xvii) quia inter natale Domini & epiphania omni die festivitates sunt, itemque prandebunt.  Concilium Turorense II (zit. Chambers 1903)
Die fränkischen Mönche sollen an diesen Tagen nicht etwa  fasten, sondern da es "alles Festtage sind" sollen sie essen.  

Die westliche Interpretation der beiden Feste, Geburt am 25. 12. und Ankunft der drei Könige "zwölf Tage später" am 6. 1., lässt sich schon im späten 4. Jh. nachweisen, in einem lückenhaft überlieferten Text von Bischof Filastrius von Brescia (starb 397):
Sunt quidam dubitantes haeretici de die Epiphaniorum Domini Salvatoris qui celebratur octavo idus Januarias, dicentes solum Natalem debere eos celebrare Domini octavo kalendas Januarias, non tamen diem Epiphaniorum, ignorantes quod sub lege et secundum ** Salvator carnaliter omnia in se et de se consummabat, ut et nasceretur VIII kal. Jan. et appareret VI. Apparuit Magis post duodecim dies *** in templo. (Philastrius Brixiensis, liber de haeresibus, PL 12 / CCL 9)
Manchmal lese ich allerdings, schon Ephraim (Ephraem, Ephräm, Ephrem) der Syrer habe im 4. Jh. die "Heiligkeit" dieser zwölf Tage betont (Höfler Rauchnächte 1903, Chambers Mediaeval Stage 1903). Dies jeweils ohne Stellenangabe, die Leute schreiben das einfach voneinander ab. Man kann das wohl getrost ingnorieren. Die römische "Weihnacht" wurde in den 350ern eingeführt, und Ephraim starb 378. Bei Ephraim, als dem wichtigsten und produktivsten syrischen Autor überhaupt, war "die Gefahr einer Beimischung fremden Gutes, wie diejenige mannigfacher textlicher Veränderung auch des ursprünglich Echten im vornherein in höchstem Grade gegeben" (Baumstark, Geschichte der syrischen Literatur, 1922, p. 35).


Alter und Herkunft des Epiphanias-Festes am 6.1. ist wohl eine Frage für sich (Der syrische Name von Epiphanias ist deno ܕܢܚܐ, aram. דנחא, das heisst soviel wie "Aufleuchten; Sonnenaufgang; Morgenröte", entspricht in der Bedeutung also επιφάνεια; ob das syrische Wort das griechische übersetzt oder umgekehrt weiss ich nicht). Ich vermag nicht zu entscheiden, ob seine Herkunft letztlich nun syrisch/aramäisch, griechisch, ägyptisch oder "gnostisch" sei. Wertvoll ist hier der  grosse jesuitische Dictionnaire de spiritualité (unter Épiphanie): Im östlichen Christentum lasse sich eine Feier am 6. 1. bereits am Ende des 2. Jh nachweisen. Was der letzlich heidnische Ursprung der Feier war, ist nicht mehr bekannt.  Dass der Ursprung diesern Feiern heidnisch ist, ist nb. nicht etwa eine Peinlichkeit für die Kirche, vielmehr sagen die jesuitischen Autoren des Artikels an dieser Stelle:
L'Église n'a pas craint de s'emparer des dépouilles du paganisme; respectant ce qu'elle percevait de préfiguration du mystère du Christ dans ces cultes, elle a donné à des formes anciennes un contenu nouveau.
Zur Übernahme des Festes in der Westkirche betont der Artikel, wie früh dies v.a. in Gallien geschehen sei: Les origines de l'Epiphanie en Gaule sont fort anceinnes, plus anciennes peut-être que celles de Noël.  Laut (dem heidnischen Autor) Ammianus Marcellinus sei das Fest im Jahr 361 in Paris gefeiert worden.

Sicher ist, dass am Ende des 4. Jh. Weihnachten und Epiphanias im Westen nebeneinander existierten, während im Osten das Weihnachtsdatum erst im 5. und teilweise im 6. Jh. zur Geltung kam (teilweise gar erst "auf kaiserlichen Druck", Beck, Kirche und theologische Literatur in Byzanz, 1959, p. 259). Die westliche Interpretation der "Zwölftage", die sich schliesslich auch in das Brauchtum des Mittelalters fortsetzte, etablierte sich "in Gallien", d.h. im Frankenreich, während des 5. Jh. Die früheste Erwähnung der dazwischendenliegenden Tage als besondere Festzeit stammt aus dem Frankenreich in den 560ern. Viel kalendarisches Brauchtum ist mit den Römern und dem Christentum aus Mittelmeerraum und Orient zu uns gekommen. Aber hier scheint es für einmal umgekehrt zu sein: "Weihnachten" oder die Zwölfnächte, das Dodekahemeron, sehen aus wie ein Exportprodukt des Westens in das östliche Christentum. Dodekahemeron ist ein so schöner griechischer Begriff, dass gerne implizit angenommen wird, es handle sich hier um ein Element der alten östlichen Liturgie. Erst wenn man den byzantinischen Quellen nachgeht, zeigt sich, wie stiefmütterlich diese angeblich so heilige Festzeit noch im Mittelalter behandelt wird. Bei Johannes Jejunator (starb 595) erscheint das Wort kommentarlos in einer Liste von Tagen, an denen nicht gefastet wird.
... καὶ τοῦ Προδρόμου, καὶ τὸ δωδεκαήμερον, καὶ τὴν ἑβδομάδα τοῦ Πάσχα, καὶ τὴν ἀπο τῆς Πεντηκοστῆς ... ὄυτω μὲν εἶναι εἰς αὐτὰς ὁλοαπολύτους εἰς πάντα (et in festa Joannis Baptistae, et dodecaemero, et Paschatis septimana, et quae Pentecosten sequitur ... opportet esse omnibus modis liberas) PG 88, 1913C
Dann finde ich es bis ins 9. oder 10. Jh. überhaupt nicht mehr (und frage mich daher, wie sicher seine Echtheit in der Liste von Jejunator wirklich ist).

Nicht nur die gallische (fränkische) Interpretation des Festkalenders, sondern auch die manifest heidnischen Eskapaden der Winternächte wirkten bis nach Byzanz: Konstantinos Porphyrogennetos beschreibt in seinen Zeremonien (c. 953) eine am Mittag des 2. Januar stattfindende "gotische Zeremonie" (τὸ Γοθικόν), wo Maskierte in Tierfellen in den Saal rennen und Lärm schlagen. Die "Goten" waren zur Zeit Konstantins bereits Waräger (Schweden), und ob der Brauch tatsächlich von Goten im 5. oder 6. Jh. oder aber erst von Schweden im 9. Jh. nach Byzanz kam, wissen wir nicht sicher (Meuli, "Masken"). Dass die dazugehörigen Rufe tul tul (τούλ τούλ)  mit dem Wort jul zu tun hätten, könnte ich hier suggestiv zitieren (Gunnell 74 fn. 201), aber die Idee klingt mir doch etwas sehr nach etymologischem Wunschdenken. Im aktuellen Zusammenhang bestätigt diese "gotische Zeremonie" einfach, dass, was immer am byzantinischen Hof im 10. Jh. an "Rauhnachts"-Bräuchen stattfand den germanischen (gotischen) Söldnern zugeschrieben wurde.